Was ist in Chile los?

Infoblatt Februar 2020
(Nur auf Deutsch)

Was ist in Chile los?

Seit dem 18.10.2019 finden fast täglich unterschiedliche Massendemonstrationen und
Protestaktionen im ganzen Land statt. Allein in Santiago waren am 25.10.2019 1,2
Millionen protestierende Menschen auf den Straßen und über 2 Millionen im ganzen
Land. Wir Chilen*innen nennen dieses Phänomen „Chile Despertó“ (Chile ist
aufgewacht). Die Preiserhöhung der Metro-/U-Bahntickets um 30 Pesos, es sind 0,04
Eur, war der letzte Tropfen, der das Glas voller Missbrauch und Ungerechtigkeit zum
Überlaufen brachte.

Aber wogegen protestieren die Chilenen?

• Soziale Ungerechtigkeit und Ungleichheit.
Chile ist ein reiches Land, aber das Gesamtvermögens sehr ungleichmäßig verteilt.
Denn allein nur 1 % der Bevölkerung verfügt über 26,5% des Gesamtvermögens.
Ein Zehntel von diesem 1% der Bevölkerung, das heißt 0,1% der Bevölkerung, verfügt
über 17% des Gesamtvermögens des Landes. Und wiederum ein Zehntel von diesem
0,1% der Bevölkerung, das heißt 0,01% der Bevölkerung, verfügt über 10% des
Gesamtvermögens des Landes.
Im Gegensatz dazu verfügen 50% der Bevölkerung über einen Anteil von nur 2,1% des
Gesamtvermögens des Landes.
• Die Lebenshaltungskosten sind in Chile ähnlich hoch wie in Deutschland.
Der Mindestlohn in Chile liegt unter 400 Euro im Monat. Dafür müssen Chilen*innen 45
Wochenstunden arbeiten und haben meistens einen sehr langen Arbeitsweg von 1 bis 2
Stunden. Abgesehen davon haben Chilen*innen nur 15 Tage Urlaubsanspruch im Jahr.
• Hungerrenten. Im Durchschnitt bekommen Männer, die in Rente gehen, monatlich
ca. 370 Euro und Frauen sogar nur ca. 220 Euro.
Über 1 Million Rentner müssen mit weniger als 200 Euro monatlich überleben.
• Unbezahlbare Lebenshaltungskosten. Hinzu kommen überteuerte Medikamente, die
mit Preismargen von bis zu 80% verkauft werden. Die meisten Menschen kommen mit
dem Gehalt nicht bis zum Ende des Monats aus, was unvermeidlich zu einer
Überschuldung von Privathaushalten führt, um die Grundversorgung sicherzustellen.
Laut BBC führt Chile in Lateinamerika die Rangliste der Länder mit der höchsten
Privatverschuldung an.Insgesamt beträgt die Verschuldung von Privatpersonen in Chile
42% des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
• Die extrem geringe Qualität von öffentlichen Schulen. Die größtenteils privatisierten
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Bremen
Hochschulen und Unis, sind nur gewinnorientiert und zumeist von schlechter Qualität.
Im Durchschnitt muss ein Student eine Jahresgebühr von über 6.000 Euro für seinen
Studienplatz bezahlen.
• Das fahrlässige Gesundheitssystem. Jedes Jahr sterben in Chile Tausende von
Menschen (26.000 im Jahr 2018), die auf einer Warteliste für eine lebenswichtige
Behandlung oder Operation stehen.
• Gewalt und Kindesmisshandlung auch in Waisenhäusern (Sename)
• Umweltzerstörung und privatisiertes Wasser. Seit 1981 gehört in Chile das Wasser
nicht mehr der Erde, sondern dem Staat, der es nach dem Gesetz an private Investoren
verkaufen darf. Es gibt außerdem im Land fünf “zonas de sacrificio“, sogenannte
“Opferzonen“, die unbewohnbar sind, weil sie durch die Stromerzeugung von mächtigen
Unternehmen so verschmutzt sind, dass sie die Gesundheit der Bevölkerung stark
gefährden.
• Diskriminierung, Verbannung und Kriminalisierung der Ureinwohner.
• Illegitime Verfassung. Die aktuelle Verfassung Chiles wurde während der
Militärdiktatur im Jahr 1980 redigiert und durch ein von der Regierung völlig
manipuliertes Verfassungs-referendum ratifiziert.

Wie hat der chilenische Staat auf die Proteste reagiert?

Mit brachialer Gewalt versucht die Polizei, die Proteste zu unterdrücken, 35 Menschen sind
gestorben, über 2.500 Personen befinden sich in Untersuchungshaft, darunter 155
Minderjährige; bis Ende November gab es über 35.000 Verhaftungen und über 23.000 Anklagen
seitens der Staatsanwaltschaft.
Während der ersten Wochen der Massenproteste setzten die Carabineros unerlaubte Munition
gegen die Unruhen ein. Über 445 Personen erlitten Augenverletzungen, bei 34 von ihnen
platzte der Augapfel oder sie verloren ein Auge, zwei Opfer verloren das Sehvermögen auf
beiden Augen.
Das Nationale Institut für Menschenrechte (INDH) berichtet am 18. Februar 2020 über
Menschenrechtsverletzungen gegenüber Frauen. Es wurden 194 Fälle sexueller Belästigung/
Gewalt registriert, davon beziehen sich 179 Fälle auf die erzwungene Entkleidung. Die Zahl der
übrigen Fälle von Folter und grausamer unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung
beläuft sich auf 336.”
3.449 Menschen sind verletzt worden, davon 1.983 durch Feuerwaffen.9.380 Menschen,
darunter 1.001 Minderjährige, sind festgenommen worden.

Sowohl Human Rights Watch, CIDH die Inneramerikanische Kommission für
Menschenrechte, als auch Amnesty International bestätigten die massiven Verletzungen
der Menschenrechte in Chile.

Quellen: www.indh.cl, www.sochiof.cl, www.ciperchile.cl, www.amnesty.de, www.hrw.org